Mauern gibt’s nicht… oder doch?

Neulich hatten wir bei einem Online-Turnier einen Fall, der zu einer Beschwerde geführt hat. Der Spieler in Vorhand hatte folgendes Blatt:

Kreuz BubePik BubeHerz BubeKaro BubeKreuz Dame
Kreuz 9Kreuz 7Pik AssHerz 7Karo König

Er passte bei 18. Das „Opfer“ in Mittelhand hat ein ganz ansehnliches Pik ohne 5 auf der Hand, nachdem ihm Vorhand aber alle Trümpfe abgezogen hatte, war das Spiel bereits verloren.

Der Alleinspieler, der sein Spiel verloren hat, legt nun nach einigem Zögern Beschwerde gegen das Reizverhalten von Vorhand ein. Dieser verteidigt sich. Mittelhand sei für sein Reizen selbst verantwortlich, es gäbe für ihn keine Verpflichtung zu reizen. Später räumt er ein, dass dieses Spiel die Revanche für ein vorangegangenes Spiel gewesen sei. Er hatte hier fünf Trumpf, sein Gegenspieler (das spätere „Opfer“) sechs Trumpf in Pik. Er warf dem Spieler vor, sein Spiel nicht ausgereizt zu haben (er reizte ohne zwei „nur“ bis 22).

Der Beschwerde wurde stattgegeben, der Spieler wurde verwarnt.

Eine Analyse dieser Entscheidung:

Diese Entscheidung basiert auf einer Entscheidung des Internationalen Skatgerichts aus dem Jahr 2003. Wir hatten damals einen sehr ähnlichen Fall, weswegen wir eine Anfrage an das Skatgericht gestellt hatten. Das Skatgericht bewertet das „Mauern“ analog zum Abreizen. Die wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Entscheidung geben zunächst dem „Maurer“ Recht:

  • Jeder Spieler ist für sein abgegebenes Reizgebot selbst verantwortlich. Wer reizt muss auch damit rechnen, dass er das Spiel bekommt.
  • Natürlich darf man sich eine bestimmte Kartenverteilung bei den Gegenspielern wünschen, einen Anspruch darauf hat man aber nicht.

Ein sehr schönes Zitat aus der Entscheidung:

In keiner Bestimmung der ISkO ist festgehalten, wie viele Spiele ein Spieler verlieren oder gewinnen darf. Wir können und wollen nicht das defensive oder offensive Verhalten der einzelnen Spieler durch ein Reglement beeinflussen.

Es gibt keine Beurteilungskriterien oder Entscheidungen darüber, ob ein Spieler bis an die Grenze seiner Reizmöglichkeiten geht oder nicht, dies ist meist von mehreren Faktoren abhängig. Aggressive, risikobereite Spieler oder solche, die alle Möglichkeiten ausschöpfen wollen, um eventuell noch einen Preis zu erlangen, gehen in den meisten Fällen bis zum höchstmöglichen Reizwert. Sie nehmen dabei in Kauf, ein teures Spiel zu verlieren und werden des Öfteren des Abreizens („Abreizer“) bezichtigt.

Und später:

Beide Varianten des Reizverhaltens [gemeint sind defensives und offensives Reizen] sind verständlich, normal, nachvollziehbar und meist von der jeweiligen Situation abhängig. Daher gibt es für diese beiden Varianten des Reizens keine Bestimmungen in der ISkO.

Es gibt ein „Aber“. Wenn ich ein Spiel allein deswegen reize, weil ich einem anderen Spieler ein Spiel wegnehmen möchte und dabei selbst keinerlei Aussicht darauf habe, das Spiel zu gewinnen, dann ist das Abreizen. Dies kommt ziemlich häufig vor. Fast jede zweite Beschwerde, die bei uns eingereicht wird, beschäftigt sich damit (wobei natürlich bei weitem nicht jede Beschwerde berechtigt ist). Dieser Fall ist sogar so häufig, dass er in der DSkV Turnierordnung explizit behandelt wird. Ab dem 5. verlorenen Spiel kann die Turnierleitung informiert werden (Punkt 16, in der Turnierordnung der Verbandsgruppe 11 im Landesverband 1 beispielsweise ist dieses „kann“ sogar durch ein „muss“ ersetzt worden). Zudem kann eine Verwarnung wegen Abreizens ausgesprochen werden (ebenfalls Punkt 16). Wiederholtes Abreizen kann zudem ein Grund sein, einen Spieler von der weiteren Teilnahme an der Veranstaltung auszuschließen (Punkt 17).

Auch im vorsätzlichen „Mauern“ sieht das Internationale Skatgericht eine Ausnahme.

Aber wo hört defensives Reizen auf und fängt „Mauern“ an? Ab wann bin ich ein offensiver Reizer und ab wann ein Abreizer?

Entscheidend ist der Vorsatz: Wenn ich alleine deswegen ein Spiel reize (Abreizen) bzw. nicht reize (Mauern), um einem anderen Spieler ein Spiel wegzunehmen bzw. umzumachen, dann ist das unsportlich und kann geahndet werden.

Zitat aus der Entscheidung des Internationalen Skatgerichts:

Anders verhält es sich, wenn ein Mitspieler bewusst, vorsätzlich und nachweisbar abreizt oder sein Spiel unter Wert abgibt (z.B. mit vier Buben bei einem Reizgebot von „18 oder 20“ passen). In diesen Fällen können die Mitspieler einen Schiedsrichter hinzuziehen, der dann aufgrund der Aussagen entscheidet, ob der betroffene Spieler zu verwarnen (und im Wiederholungsfall auszuschließen) ist. Hier ist die Bestimmung 4.5.2 der ISkO und die Turnierordnung für Meisterschaften […] des DSkV anzuwenden.

Eine sehr salomonische Entscheidung des Skatgerichts. Der Vorsatz macht den Unterschied zwischen offensivem Reizen (erlaubt) und Abreizen (verboten) bzw. devensivem Reizen (erlaubt) und Mauern (verboten) aus. Dieser Vorsatz muss dem Spieler nachgewiesen werden. Zudem muss dem Spieler bewusst gewesen sein, dass er einen Regelverstoß begangen hat.

Im hier diskutierten Beispiel war der Nachweis des Vorsatzes leicht zu führen. Der Alleinspieler hat ein unter allen Umständen und Kartenverteilungen absolut unverlierbares Kreuz Hand auf der Hand. Die Gegenspieler können unabhängig von der Spielweise und aller möglichen Kartenverteilungen maximal 47 Punkte erreichen. Jetzt kann es sein, dass dieser Umstand dem Spieler überhaupt nicht bewusst war. Auf den ersten Blick sieht das Blatt – bis auf die vier Buben – tatsächlich nicht besonders gut aus. In einer ersten Stellungnahme hat der Spieler auch geschrieben, dass er da er keine Aussicht mehr auf einen Preis hatte kein Risikospiel mehr spielen wollte. Wenn dem Spieler also nicht bewusst war, dass er mauert, hat er auch nicht gemauert. Denn wo man sich irrt kann man nicht vorsätzlich handeln.

Dagegen spricht aber, dass der Spieler kein Anfänger ist. Selbst wenn er den Vorsatz später nicht eingeräumt hätte wäre man daher wohl zu dem Ergebnis gekommen, dass die Begründung nur vorgeschoben war.

Der Spieler handelte also bewusst, vorsätzlich und nachweisbar. Analog zur Skatgerichtsentscheidung war die Verwarnung des Spielers also die richtige Entscheidung.

Bei mutmaßlich abgereizten Spielen ist es generell wesentlich schwieriger, einen Vorsatz nachzuweisen. Bei so ziemlich jedem abgereizten Spiel gibt es einen möglichen Skat oder eine mögliche Kartenverteilung, mit der der Alleinspieler sein Spiel hätte gewinnen können. Wenn man nun bei jedem Spiel, das auch nur theoretisch gewinnbar ist annimmt, dass der Spieler nicht abgereizt hat, dann gibt es Abreizen so gut wie überhaupt nicht.

Man sieht also: Hier ist viel Fingerspitzengefühl seitens der Turnierleitung und der Schiedsrichter gefragt. Jeder Fall muss individuell geprüft und entschieden werden. Neben dem reinen Kartenstand gibt es noch viele andere Faktoren, die zur Entscheidung herangezogen werden müssen. Beispielsweise:

  • Der aktuelle Punktestand in der Serie (ein Spieler, der mit einem riskanten Spiel noch in die Preise geraten kann hat nicht unbedingt abgereizt, ein Spieler, der bei 300 Punkten steht schon eher).
  • Die Professionalität des Spielers (einem Deutschen Meister darf man getrost zutrauen, dass er weiß, dass der Kreuz Hand unverlierbar ist, einem Spieler, der zum ersten Mal ein Turnier spielt nicht unbedingt).
  • Die geführte Diskussion am Tisch.

Abschließen möchte ich mit dem berühmt berüchtigten Absatz aus der Internationalen Skatordnung, der auch in der Skatgerichtsentscheidung zitiert wurde. Er ist kurz, lässt sehr viel Spielraum für Interpretationen und eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

4.5.2 Alle Teilnehmer haben sich in jeder Situation fair, sachlich und sportlich zu verhalten und kein fadenscheiniges Recht zu suchen.

Weiterlesen